Der Weg ins Glück ist verborgen im Herzen



Sonntag, 8. Mai 2011

Leseprobe aus "Abbas und Rebecca"

Leseprobe für euch:

 Das Weinhaus


Zwölf Jahre nach seiner Flucht aus Bethlehem sollte der dritte Dorn gesetzt werden und als das dreizehnte Jahr erreicht war, hatte er das Herz Abbas tief durchbohrt. Und das Setzen des Dorns, es begann in der Schmiede zu Bet-El.

Abbas steht an der Esse und schmiedet - Schwerter, keine Nägel, ist das klar?
Ja, Ephraim, klar!
Die Esse glüht, und Abbas freut sich am Funkenflug seines Hammerschlags. Und im hellen Licht der Morgensonne blitzt am Horizont etwas auf. Es sind die lichtglänzenden, im Rhythmus legionärischen Schritts tanzenden Vorboten Römischer Präsenz; hier und überall in Palästina; es sind römische Rüstungen. Und sie nähern sich Bet-El in einer Staubwolke, dort am Horizont. Und die Esse, sie glüht so heiß, wie die Sonne brennt.
Barthimäus, der blinde Bettler, er sitzt in der Sonne; und die ist so heiß, wie die Esse neben dem Brennholz in der Schmiede.
Die Römer haben den Dorfrand erreicht; und Abbas sieht, dass sie in Eile sind. Auch Barthimäus hört das Tarrapp, Tarrapp der Hufe und den strengen Rhythmus legionärischen Schritts; und  weil er seit gestern nichts mehr gegessen hat, sieht er darin eine günstige Gelegenheit für Almosen. Denn wo Pferde sind, sind auch Menschen und die müssen volle Geldbeutel haben, sonst hätten sie keine Pferde.
Fatal!
Denn so denkt man nur, wenn einem der Hunger den Verstand vernebelt. Und Barthimäus hat großen Hunger, sonst hätte er bemerkt, dass es Römer sind; und dann hätte er sich auch daran erinnert, dass die ja die Angewohnheit haben, Bettler zu übersehen; bekanntlich. Aber Barthimäus, er steht auf, nimmt seine Schale, verläßt seinen Sonnenplatz und geht in die Mitte der Straße und sein Ruf:
Almosen für einen Blinden! Almosen für einen Blinden!,
übertönt das:
Nein!,
Ephraims, und das:
Zurück!,
Abbas, die beide das Unvermeidliche kommen sehen - ohne doch das Kommende zu ahnen – das Kommende, das von den knackenden Funken der heißen Esse ausgeht. Denn die funkensprühende Esse, sie liegt in ihrem Rücken, Barthimäus, aber, der blinde Bettler, er steht vor ihren Augen; und er steht mitten auf der Straße. Und als er von den Pferden Roms einfach überrannt wird, eilen sie so schnell sie können zu seiner Rettung.
Abbas, er ballt die Faust, denn die Erinnerung an die Shabbatnacht in Bethlehem ist wieder da. Jene Nacht, in der Jeremia, der Prophet, Rachel an seiner Hand mit sich führte und nicht mehr wiederbrachte, Rachel, das Mutterschaf. Und da entfährt Abbas ein:
Scheiß Römer!
Und da schlägt der Funke aus der Esse in das Holz der Schmiede.
Hast du dich verletzt?, fragt Ephraim, der Schmied, den stöhnenden Barthimäus und richtet ihn wieder auf.
Vorsichtig! Ganz vorsichtig!
Nein, ich glaube nicht, sagt Barthimäus und betastet seinen Körper.
Dann, mit einem Anflug von Ironie:
Die Augen waren schon vorher blind.
Und da muß Ephraim, der Schmied, sein Ernährer und sein Leben, einfach lächeln.
Es brennt!,
schreit eine Männerstimme, und meint die Schmiede, die in lodernden Flammen steht.
Ephraim reagiert sofort:
Holt Wasser! Schnell!
Und dann entsinnt er sich seine Verstecks, das nur er kennt; nur er. Die Mauernische, in der sich Abbas und Ephraims Geld vor den Augen der Welt verstecken. Und wenn die Schmiede abgebrannt ist, dann würde sich das Geld auch vor seinen Augen verstecken und das darf nicht sein!
Das Geld!,
schreit Ephraim, der Schmied, und stürzt sich in die Flammen.
Das Lamm!,
schreit Abbas, und auch er stürzt sich in die Flammen. Denn das Lamm, des Schmieds würde verbrennen, war es doch angebunden. Und das muß verhindert werden! Um jeden Preis.
Die Flammen sind noch nicht so weit vorgedrungen, und so kann Abbas das ängstlich blökende Lamm den Flammen entreissen.
Nein!,
schreit Abbas und läßt das Lamm, um Ephraim zu retten. Ein brennender Balken hatte ihn am Kopf getroffen und der lag jetzt schwer auf dem bewußtlosen Schmied. Abbas bindet sich hastig nasse Lappen um seine Hände und befreit Ephraim, seinen Ephraim, der ihm weit mehr war als nur ein Schmied und der leben soll, der leben muß, weil, er war ihm wie ein Vater, ja, wie ein Vater.
Aber Abbas, er kommt zu spät.
Die Wunde klafft und sie klafft weit; die Wunde am Kopf und aus ihr verströmt sich das Leben von Ephraim, dem Schmied, und es gibt nichts, gar nichts, was Abbas, dagegen tun kann. Und wären nicht so viele Menschen um ihn herum, dann würde er jetzt weinen.
Ja, das würde er.
Abbas!
Es ist die schwache Stimme Ephraims, der ein letztes Mal erwacht. Er weiß nun, dass Abbas für ihn durchs Feuer geht, für ihn und das Lamm, während er, ja, er hat nur an das Geld gedacht.
Erschreckend.
Aber Abbas ist anders, Adonai, sei gepriesen. Ja, Abbas, ist würdig sein Erbe zu werden; und so sagt Ephraim, der sterbende Schmied:
Das Geld, du mußt das Geld holen, es war für mein Alter gedacht, aber jetzt brauche ich es nicht mehr.
Still! Du mußt dich schonen, sagt Abbas und in seine Stimme mischt sich ein Anflug von Hoffnung. Ephraim schüttelt schwach den Kopf und das Blut fließt.
Du kannst davon die Schmiede neu aufbauen. Es ist....
Und Abbas beugt sich vor, um ihm das Atmen zu erleichtern, ihn zu verstehen, ihn zu halten, am Leben zu erhalten, aber es ist zu spät. Und sterbend, flüsternd, eröffnet ihm Ephraim seinen letzten Willen; und das ist sein Testament. Abbas aber, er will das Unvermeidliche nicht wahr haben und er wünscht sich, er wäre blind wie Barthimäus, der Bettler, dann bräuchte er nichts sehen.
Gar nichts.
Und noch fester umarmt Abbas seinen Ephraim, als könne er so sein Leben zurückhalten; und zwischen Kopf und Schmiedeschulter schluchzt er seine Verzweiflung; und da mischen sich Blut und Tränen, wie einst in Bethlehem.
Ephraim, du darfst nicht sterben, ich habe doch nur dich, nur dich.
Ephraim lächelt, lächelt sanft im Sterben, und sagt ganz leise:
Du warst ein guter Junge.
Dann sagt er nichts mehr und atmet schwer.
Holt einen Arzt!,
schreit Abbas verzweifelt, aber alle wissen, es ist zu spät.
Ephraims Hände verkrampfen sich und er schaut Abbas beschwörend in die Augen.
Nimm dich vor Zachäus in acht! Vor Zachäus, dem Zöllner!
Dann sackt er zurück und atmet schwer. Es ist zu spät, alle wissen es;  es ist zu spät. Und die Bewohner Bet-Els, sie beten leise mit David, ihrem König;  und sie beten seinen Psalm der Demut  - der zum Sterbespalm wurde, zum Sterbepsalm des Hauses Israel - aber keiner von ihnen ahnte die wahre Bedeutung des Psalms, der da war der Zweiundzwanzigste. Keiner.

Ich bin hingeschüttet wie Wasser,
gelöst haben sich all meine Glieder.
Mein Herz ist in meinem Leib zerflossen.[1]

Und die Worte des Psalms, sie mischen sich mit dem Blut Ephraims, das wie Wasser hingeschüttet ist; und das eine, es verrinnt im anderen und Stille tritt ein. Und niemand, nein, niemand sagt mehr etwas. Da, ein letztes Mal richtet sich Ephraim sterbend auf und flehend sagt er:
Jesuah Sohn des Abbas, du mußt mir etwas versprechen!
Alles, was du willst, Ephraim.
Abbas Blick ist feucht, sehr feucht.
Alles was du willst.
Und Ephraim, der sterbende Schmied, er wendet für einen kurzen Moment seine Augen nach oben, dem Weinhaus zu, dem Weinhaus Salomos; dort, wo er schon am Tor steht, und Einlaß begehrt und sagt:
Breche nicht mit Gott, breche -,
und da bricht sein Blick und er tritt ein in das Weinhaus aus dem Lied der Lieder.

In das
Weinhaus
hat er mich geführt.
Sein Zeichen über mir heißt
Liebe.[2]


[1] Ps 22, 15
[2] Hdl 2, 4

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen