In der
Schule der Vögel von Medjugorje
Von
Franziskus von Ritter-Groenesteyn
Es war der der fünfte Tag meiner Pilgerreise und es war am
Abend des vierten Tages unseres Hierseins in Medjugorje. Es war um die Zeit des
Abendgebets. Von diesem Ort im Herzen der Herzegowina sagt man ja, er sei eine
Schule des Gebets. Und in der Tat lernt der Mensch dort in der Schule der Gospa
im scheinbar monotonen Rhythmus slawischer Klänge „stravo mario milosti puna“[i] Handys
beiseite zu legen, Sorgen abzulegen, zur Ruhe zu kommen, „ti medschu schenema“.
Die wie wild in unserer Gedankenwelt herum hummelnden Wespen kommen zur Ruhe.
Drei Stunden und das jeden Abend. Mein ganzes Sein bäumt sich
dagegen auf. Wort für Wort sickert die verabreichte Medizin in das Herz und
schmeckt zunächst nur bitter. Doch Wort für Wort nimmt das Herz das darin
verborgene Licht in sich auf. Die Dunkelheit muss weichen. Drei Stunden Gebet
sind für einen hektischen Stadtmenschen in erster Linie drei Stunden sitzen und
jeden einzelnen Muskel und Knochen spüren. Hart aber herzlich. Drei Stunden
bedeutet: Litaneien, zwei Rosenkränze, eine Heilige Messe, noch ein Rosenkranz
und dann noch ein Heilungsgebet bis das Licht der Sonne dem Glanz erster Sterne
weicht.
Eine lange Zeit. Eine Zeit des Herumschauens, des
Beobachtens. Das Gebet schärft den Blick. Das Gebet ist eine Brücke zu Gott. Es
ist eine Schallbrücke: Über sie können wir das leise, sanfte Säuseln seiner
Stimme im Rauschen der Blätter hören, im Zwitschern der Vögel über uns. Das
Gebet ist eine Brille: Durch sie können wir das Wirken Gottes erahnen. Wir
sehen es in den Wolken über uns. Wir sehen es im Vorbeiflug der Vögel. Und ja,
so führt mich das „sweta mario maiko boscha“ in die Schule der Vögel von
Medjugorje.
Man sagt ja, durch das Gebet lasse sich alles erreichen,
Kriege verhindern, das Dunkle vertreiben. Und genau dies wollen mir die Vögel
über mir, über meinem Kopf an diesem heißen Sommerabend sagen. Es ist eine
Choreographie von himmlischer Hand inszeniert, um mich zu lehren und jeden, der
darauf achtet.
Drei Mal habe ich nun bereits diesen Abend erlebt. Und eines
fiel mir schon am ersten Abend auf: ein Flug der Vögel von Ost nach West in
halsbrecherischer Jagd über unsere betenden Köpfe hinweg. Abend für Abend
versammelt sich so eine lustig zwitschernde Schar tausender von Spatzen in den
drei westwärts gerichteten Laubbäumen des großen Gebetsplatzes, und es scheint,
als wollten sie so, auf ihre Weise, in das Abendlob der Menschen miteinstimmen.
Nur, dieser Abend war anders. Dunkle, schwarzgefiederte
Krähen umkreisten die beiden Kirchtürme des Ortes. Völlig unbekümmert, ja fast
frech dreist, saßen sie auf den beiden Turmkreuzen. Je zwei auf dem Querbalken
und je eine auf der Spitze des Längsbalkens.
Unwillkürlich musste ich an die
Taubenjagd vor zwei Jahren auf dem Petersplatz denken. Eine weiße Taube, im
Januar 2014 als Symbol des Friedens von Papst Franziskus freigelassen, wurde
von einer Möwe und einer Krähe attackiert und entkam nur knapp ihrem Schicksal.
Jetzt hier an der Stätte immerwährenden Friedensgebets sitzen Krähen zu Scharen
auf dem Symbol unserer Kirchengemeinschaft. Es wirkt bedrohlich.
Doch dann
zieht das Heer der Spatzen ein. In immer neuen Schwärmen sausen sie über unsere
Köpfe in halsbrecherischem Tempo hinweg. Zuvor sammeln sie sich in drei Nadelbäumen
im Osten. Für mich das Symbol der Dreifaltigkeit. Sind diese Bäume doch
unmittelbar hinter der Anbetungskapelle gepflanzt worden und sind die Kronen
ineinander verwachsen mit der mittleren als der höchsten.
Dort sammeln sich die
Heeresabteilungen der kleinen, gefiederten Kämpfer und fliegen dann gemeinsam
über das Heer der Beter unter ihnen hinweg, hinein in die Bäume im Westen.
Dort
vereint sich ihr Gesang mit dem Gezwitscher ihrer Artgenossen und die Krähen,
oh Wunder, ziehen ab.
Doch damit nicht genug, zwei Tauben fliegen ein. Symbol des
Heiligen Geistes. Zwei Turteltauben, denn sie sind ganz offensichtlich verliebt.
Es ist wie ein Kuss der Liebe unseres Schöpfers. Sie setzen auf ein anderes
Kreuz. Es liegt tiefer. Es ist der krönende Abschluss, die Spitze des
Zeltdaches, das den Altar darunter sicher beschirmt. Sie sitzen also an jenem
Ort, wo Abend für Abend das Abendlob der Menschen erklingt. Und dort bleiben
sie, bleiben bis zur Mitte der Predigt. Erst dann fliegen sie davon.
Doch was machen die Spatzen? Sie senden Boten aus, die die
noch fehlenden Artgenossen zu holen. Derweil zwitschert und zwatschert es im
Takt des Rosenkranzes „Salaam mumalaiki Marijam, der Herr sei mit dir.“
Ab und an verlässt die Taube zur Linken ihren Kreuzesplatz
und zieht eine Schleife über die Beichtstühle. Eine Aufforderung? Sie kehrt auf
das Kreuz zurück.
Dann, zu Beginn des vierten Gesätzes des zweiten
Rosenkranzes, die Kreuztragung Christi, kehren die Krähen zurück, erobern
erneut die Kirchturmkreuze. Sie verharren dort bis zum Ende des fünften
Gesätzes, Christus wird gekreuzigt. Das Heer der Spatzen setzt zum Crescendo
an, vereinigt sich mit den Glockenklängen zu Beginn der Heiligen Messe. Und so
werden die Krähen endgültig vertrieben. Die beiden Kreuze sind wieder frei und
bleiben es auch bis sich dort zwei Wächter niederlassen: Es sind zwei
Turmfalken. Wie die Wächter auf den Zinnen der Stadtmauer von Jerusalem halten
sie von dort Ausschau nach dem Feind. Die Stadt zu ihren Füßen kann derweil im
Frieden ruhen.
Und dann kurz vor der Wandlung, kurz vor der
Vergegenwärtigung des Allerheiligsten verstummen die Spatzen in stiller
Ehrfurcht vor der Größe ihres Schöpfers und ich in Ehrfurcht vor ihrer Lehre.
„Preist den Herrn all ihr Vögel am Himmel; lobt und rühmt ihn
in Ewigkeit“ Dan 3,80. Es war der Vorabend des vierten auf den fünften Tag, da
erschuf Gott die Vögel des Himmels. Gen 1, 20.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen